Im Süden von Cali, wo die Stadt langsam ausfranst und kaum noch eine Infrastruktur wie Strassen, Elektrizität und Wasserleitungen zur Verfügung steht, liegt La Buitrera. An den steilen Abhängen eines Hügels kleben zahllose Bretterbuden, abgedeckt mit Plastikplanen, ständig in Gefahr, die steile Böschung hinabzustürzen, wenn der häufige Regen dieser Region den Boden aufgeweicht hat. Etwa 15’000 von der Gewalt Vertriebene und Landflüchtige wohnen hier. Sie haben kein soziales Netz, kaum Schulbildung und selten einen Job, der die Familie ernährt. Da die Besiedlung hier illegal ist, baut der Staat auch keine Schulen. Kinder werden von den Eltern gezwungen, für den Familienunterhalt mitzuarbeiten oder lungern unbeaufsichtigt auf der Strassen herum. Alle sind arm, niemand investiert hier. Umso mehr ist der Besucher überrascht, nach einer abenteuerlichen Fahrt über holprige und steile Naturstrassen eine neue, schöne Schule vorzufinden.
Die Schülerinnen und Schüler von San Gabriel lernen ruhig und konzentriert in ihren sparsam eingerichteten Schulzimmern. Es gibt auch einen Sportplatz, einen gut gepflegten Gemüsegarten, eine moderne Grossküche, Büros, sanitäre Anlagen und eine Bühne mit Zuschauerplätzen. Es herrscht eine Atmosphäre des Friedens und der Würde, die sich auffallend von der aufgeregten Zerstreutheit vieler Armutsgebiete abhebt. Gegründet wurde San Gabriel 2005 von Padre Gersain Paz, einem Diözesanpriester. Er wollte eine «hervorragende» Schule für Bewohner des ärmsten Slums in Cali aufbauen. Neben Bildung soll ihnen die Schule vor allem zu Selbstwertschätzung und zu konstruktiven menschlichen Werten verhelfen.
Der Anfang von San Gabriel (vormals: Edupaz) war schwer. Wo heute die Schule steht, gab es nur ein verlottertes Gebäude. Die Limmat Stiftung finanzierte den Um- und Neubau, und auch die Menschen aus dem Slum halfen tatkräftig mit. Dieser Einbezug der Bewohner beim Aufbau ist essenziell für das Gelingen eines solchen Projekts. So identifizieren sie sich mit der Schule, respektieren und schützen die Gebäude, die Einrichtungen und die Lehrerschaft. Dank dem Engagement der Limmat Stiftung konnte San Gabriel etappenweise zu einer modernen, funktionalen Schule mit Vorschule, Primarschule und Sekundarschule ausgebaut werden. In der zweiten Phase baute man eine erdbebensichere Erweiterung der Schule mit vier zusätzlichen Schulzimmern, einer Mehrzweckhalle, einer Küche, einem Verwaltungstrakt sowie sanitären Einrichtungen.
Im Schuljahr 2007/08 hatte San Gabriel dadurch Platz für 240 Kinder. Die älteren Schüler bleiben nun auch für die Sekundarschule in San Gabriel. 2010 konnte nun auch das neue Schulhaus mit 8 zweckmässigen Schulzimmern in Betrieb genommen werden. So ist es nun möglich, dass heute 450 Slumkinder hier lernen können. In San Gabriel bekommen die Kinder täglich ein Mittagessen und das nötigste Schulmaterial. Sie tragen auch eine von der Schule gestellte einheitliche Kleidung. Trotz starken Belastungen durch Armut und schwierigen familiären Verhältnissen können die Kinder hier lernen, ihr Leben konstruktiv zu gestalten. Sie übernehmen Verantwortung für sich, ihre Mitschüler, die Schule und die Umwelt.
Das pädagogische Team von San Gabriel liess sich für sein Erziehungskonzept von der Resilienzforschung inspirieren, welche die Stärkung der seelischen Widerstandskraft jedes einzelnen Kindes in den Vordergrund stellt. Auch für Erwachsene steht San Gabriel offen. In einer Abendschule holen erwachsene Schulabbrecher in Alphabetisierungskursen die verpasste Bildung nach. Die Schule führt auch berufsorientierte Kurse für Bäckerei-Assistenten.
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