Wenn in einer Gesellschaft Menschrechtsverletzungen, Gewalt und Armut alltäglich sind, beeinflusst dies natürlich die heranwachsende Generation. Viele Kinder und Jugendliche, die in solchen Gesellschaften leben, sind aggressiv, mobben, bedrohen andere, sind übergriffig und zeigen keinen Respekt vor Leben und Eigentum.
Die Nichtregierungsorganisation Corporación para la Atención Integral de la Niñez (CorpoLatin) engagiert sich seit 2003 für Kinder, die unter Gewalt leiden, und organisiert für sie professionelle psychosoziale Hilfe. Mit dem Programm «Gestores de convivencia» will sie die Problematik der Gewalt an Schulen auf mehreren Ebenen bekämpfen.
Die Methode inspiriert sich an der sogenannt restaurativen Justiz, bei der nicht die Bestrafung im Vordergrund steht. Vielmehr wird bei Konflikten oder Straftaten den Aggressionen der Kinder so konstruktiv wie möglich begegnet. Konfliktbeteiligte werden nicht stigmatisiert, vielmehr lernen sie, Verantwortung zu übernehmen und Verletzungen zu vermeiden bzw. zu heilen.
CorpoLatin bildet Lehrkräfte an den Schulen darin aus, wie sie der Aggression der Kinder konstruktiv begegnen können. Die Lehrer bereiten danach jedes Jahr geeignete Oberstufenschüler auf ihre Rolle als Friedensstifter vor. Wenn es an der Schule Konflikte gibt, greifen diese älteren Schüler ein, beruhigen, verhandeln, vermitteln zwischen den Streitenden und ziehen bei Bedarf die Lehrer bei. Andererseits vernetzt CorpoLatin die Schulen mit Institutionen, die in Akutfällen einschreiten.
2017 wurde diese Methode an acht öffentlichen Schulen in Slums von Cali eingeübt und erreichte 400 Schülerinnen und Schüler. «Gestores de convivencia» orientiert sich an sieben Prinzipien des Zusammenlebens. Angeboten werden Ausbildungsgänge auf verschiedenen Niveaus:
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Gewaltlosigkeit
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Nicht-Diskriminierung
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Gleichheit
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Sorgsamkeit für mich und die anderen
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Rücksicht auf die Umwelt
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Meinungsfreiheit
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Aktive Anteilnahme
Bei Spiel und Sport üben die Kinder täglich Empathie in den zwischenmenschlichen Beziehungen ein. Sie werden angehalten, bei Problemen und Konflikten ihren eigenen Standpunkt und jenen ihres Konfliktpartners zu erkennen. Sie lernen sich durchzusetzen, ohne ihre Mitmenschen zu verletzten. Auch kritisches und kreatives Denken, Emotionsmanagement und Stressbewältigung werden trainiert.
Beliebt bei den Kindern ist das Ballspiel Golombiao. Es ist eine Art Fussball, dessen Regeln sich an sieben Prinzipien des Zusammenlebens orientieren. Ein Berater und die Spieler selbst überwachen die Einhaltung der Regeln. In jedem Team sind gleich viele Mädchen wie Jungen. Das erste Tor muss zum Beispiel immer von einem Mädchen geschossen werden – so lernen die Jugendlichen Toleranz gegenüber dem anderen Geschlecht.
2019 ging das Projekt in die dritte Phase. In den Vorjahren lernten die 400 Kinder und Jugendlichen, Konflikte zu erkennen und kurzfristig zu lösen. Nun üben sie Szenarien der Versöhnung, Vergebung und Schadensbehebung ein, um das Zusammenleben langfristig friedlich zu gestalten.
Bei einer Evaluation des Projekts gaben 91,7% der Lehrer an, dass dank Gestores de convivencia sich das Schulklima wesentlich verbessert habe. 79% nutzen regelmässig die neuen Strategien, um Konflikte innerhalb und ausserhalb des Klassenzimmers zu lösen.
Die Schüler waren zunehmend in der Lage, in Konfliktsituationen ihre Emotionen in geeigneter Form zu kontrollieren. Es fiel ihnen leichter, empathische Beziehungen zu Mitmenschen aufzubauen und sich in der Kommunikation konstruktiv einzubringen. Bei Kindern und Erwachsenen reift zunehmend die Erkenntnis: Nur wenn sich jeder selbst verändert und an sich arbeitet, sich auch das Umfeld verändert.
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